C. Newmark: Warum auf Autoritäten hören? Eine Buchrezension
Duden-Verlag. 2020. 128 S.
„Was Autorität einmal war, was sie heute ist — und was sie sein könnte oder sollte.“
Diese Fragen sind in Zeiten einer Krise nochmal aktueller und spannender geworden. Kann man doch beobachten, wie Wissenschaftler und Experten momentan, nach einer teilweise forschungs- und wissenschaftsfeindlichen Zeit, wieder verstärkt Autorität zugeschrieben bekommen. Neben dieser Aktualität ergänzt die Auseinandersetzung mit Autorität im brandaktuellen Text „Warum auf Autoritäten hören?“ von Catherine Newmark die systemtheoretischen Überlegungen zum Thema Macht, die mich und uns hier am SIFB schon länger begleiten.
Macht und Autorität werden häufig zusammen gedacht. Beide sind wirksame Einflussstrategien und beschleunigen Entscheidungen – auch das ein aktuelles Thema. Niklas Luhmann unterscheidet drei generalisierte Formen der Einflussnahme, Macht, Autorität und Führung. Autorität sieht er primär als „sachlich generalisierten Einfluss“. Die zugeschriebene Kompetenz wird z.B. durch vergangene Erfolge aber auch Expertise legitimiert. Dies führt zu Autorisierung in Gegenwart und Zukunft.
Auch Newmark macht darauf aufmerksam, das es immer um die Zuschreibung von Autorität geht. Niemand hat oder „besitzt“ Autorität, sondern bekommt sie von uns zugeschrieben, wird autorisiert. Dieser Prozess ist auch ein fester Bestandteil des alltäglichen Lebens. Wir fragen um Rat, schildern eine Situation, wollen eine Einschätzung hören. Immer geht es darum, dass wir — punktuell — davon ausgehen, das Gegenüber wüsste mehr, könnte etwas „besser“ beurteilen, uns einen Rat geben. Wir autorisieren zu bestimmten Fragen. Dies geschieht wechselseitig in Beziehungen, Autorität — wie auch Macht — werden zugeschrieben und dadurch wirksam, fernab festgeschrieben Hierarchie. Dazu Newmark:
„Vielmehr ist Autorität, so verstanden ein dynamisches, flexibles und sich wandelnde Verhältnis zwischen Menschen.“
Die gegenseitige Abhängigkeit wird hier zum Thema. Ein Zustand, den der moderne Mensch oft zu ignorieren versucht, passt das doch nicht zur Illusion der grenzenlosen Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit. Paradoxerweise, macht die Bewusstheit darüber, dass wir autorisieren, uns an Autoritäten orientieren und dann selbst wieder Autoritäten sein können am Ende handlungsfähiger und weniger ausgeliefert.
Newmark konfrontiert uns mit einem oft ambivalenten Verhältnis zu Autorität, fragt woher dieses kommt und liefert u.a. Erklärungen aus der Historie. Sie führt uns anhand von Beispielen durch die Geschichte der Autorität vom 16. bis zum, 20. Jahrhundert, Kindererziehung, Staat und Kirche, die 68er, bis hin zur Frauenbewegung.
„Es ist zumindest bemerkenswert, dass die erste große Welle der Kritik an patriarchaler Autorität ganz ohne das auskommt, was wir heute unter Kritik an Patriarch vorrangig verstehen würden, nämlich eine Kritik an der spezifisch männlichen Vorherrschaft über Frauen.“
Am Ende steht wie auch in den Diskussionen über die „helle“ oder funktionale Seite der Macht, die Frage, wie der Autoritätsbegriff konstruktiv genutzt werden kann.
„So problematisch die Geschichte der Autorität ist, so anfällig sie schon immer für Missbrauch war und dafür, ungute Machtverhältnisse schön zu färben — dem Ideal nach ist Autorität ein fabelhaft attraktives Konzept.“
Neue Autorität erscheint flacher, weniger hierarchisch, tritt nicht so bildgewaltig auf und kann heute auch weiblich sein. Integrität – auch im Amt – scheint ein wesentliches Kriterium für ihre Akzeptanz zu sein. Autorität muss sich dann daran messen lassen, ob vermeintliche Amtsautorität auch von der innehabenden Person gelebt wird.
Wir autorisieren, darin liegt unsere Verantwortung. Es geht um gelingende Autoritätsbeziehungen. Wie das Wort schon sagt, es sind Beziehungen, die von mindestens zwei Seiten gestaltet werden.
Das Essay „Warum auf Autoritäten hören?“ regt an, sich dazu Gedanken zu machen, die aktuelle Situation gibt zusätzliche Anknüpfungspunkte.
Marion Schenk